Wie im ersten Teil “Wenn uns die Komplexität der Digitalisierung übermannt …” schon ausführlich beschrieben, ist IoT in eine neue Phase eingetreten. Aus kleinen Proof-of-Concept-Projekten werden nun großflächige Rollouts. Damit verbunden steigt die Komplexität des sowieso schon komplexen Themas erheblich an: noch mehr Protokolle, die zum Einsatz kommen, hohe technische Anforderungen an die IoT-Architektur und den IoT-Betrieb, die Integration von IoT in die bestehende IT-Landschaft und eine neue, nicht-technikaffine Nutzergruppe mit eigenen Bedürfnissen. Damit IoT-Verantwortliche diese neue Dimension an Komplexität noch bewältigen können, müssen sich IoT-Plattformen weiterentwickeln. Die Lösung nennt sich “technologie-agnostische Geräteverwaltung”.
Die Technologie-Agnostische Geräteverwaltung
Die nächste Generation von IoT-Plattformen wird daher zwei wesentliche Herausforderungen adressieren:
- Zum einen muss die Geräteverwaltung unabhängig von den angebundenen Protokollen sein. IoT-Verantwortliche brauchen einen Punkt, an dem sie unterschiedliche Gerätearten mit wenig Aufwand und einheitlich verwalten können.
- Zum anderen muss eine IoT-Plattform seinen Schwerpunkt von IoT-Administration hin zur Integrationsplattform zwischen IoT- und IT-/OT-Welt verlagern, um die Bedürfnisse nach einem einfachen Datenaustausch bei einem Rollout zu bedienen.
Die Lösung für beide Herausforderungen verbirgt sich hinter dem Begriff „technologie-agnostisch“. Ursprünglich kommt der Begriff „agnostisch“ aus dem Griechischen und bedeutet „ohne jegliches Wissen“. In der Softwareentwicklung beschreibt er den Ansatz, eine Software unabhängig von der zugrundeliegenden Technologie zu entwickeln.
Microsoft Windows ist ein Beispiel für eine technologie-agnostische Lösung: Es funktioniert auf Hardware unterschiedlichster Hersteller und Konfigurationen – für die Anwender immer gleich! Und darum geht es bei IoT nun auch: unterschiedlichste IoT-Geräte müssen für die Nutzer einfach und einheitlich verwaltbar sein!
Nur die bewusste Trennung von Protokollen und agnostischer Verwaltung ermöglicht langfristig die Erweiterbarkeit der IoT-Plattform und -Infrastruktur. Die Integration neuer Protokolle – egal ob aus dem IoT- oder IT-Umfeld – ist dann weniger komplex und aufwändig. Gleichzeitig kann der Benutzende, der IoT-Verantwortliche, für jegliche Gerätearten eine einheitliche Benutzeroberfläche verwenden, was die Bedienung vereinfacht. In Summe: die Komplexität von IoT-Plattformen und -Projekten sinkt sowohl für Nutzende als auch Entwickler!
Abb. 2: Zusammenspiel von agnostischem Gerätemanagement und Digital Twin in IoT-Plattformen
Konkret bedeutet das, dass es für jegliche Arten von IoT-Geräten unabhängig von deren Protokoll und Anwendungsfall nur eine Geräteverwaltung im Unternehmen gibt. D. h. obwohl unterschiedliche Anwendungsfälle, Protokolle und Endanwendungen existieren, gibt es einen zentralen Punkt, an dem zumindest der Status und die Stammdaten des IoT-Gerätes einsehbar sind. Der verantwortliche Mitarbeitende hat so einen schnellen Überblick über den Zustand seiner IoT-Infrastruktur. Im Falle von Fehlern ist die zentrale Geräteverwaltung der Startpunkt der Analyse. Auch wenn es für je nach Protokoll vielleicht noch andere Systeme (z. B. ein Gateway, der Netzwerk Server oder ein Edge-Device) gibt, auf die bei der Analyse später zurückgegriffen wird, wird so die Komplexität für den Mitarbeitenden erheblich reduziert.
Ähnlich wie eine Suchmaschine der Startpunkt für die Informationsbeschaffung im Internet ist, ist die zentrale agnostische Geräteverwaltung der Startpunkt zur Überwachung der eigenen IoT-Infrastruktur.
Des Weiteren gewährleistet eine technologie-agnostische Geräteverwaltung, dass die IoT-Plattform auch Anforderungen zukünftiger Protokolle und Technologien gerecht wird. Die Trennung von individuellen Protokollen und generischer IoT-Geräteverwaltung ist nicht nur in der Benutzungsoberfläche zu finden, sondern spiegelt sich auch in der Architektur wider. So lassen sich auch heute noch unbekannte Protokolle zukünftig problemlos adaptieren.
Zu den weiteren Bestandteilen eines agnostischen Gerätemanagements gehören:
- Verarbeitung unterschiedlicher Identifikationsmerkmale: Je nach Protokoll werden unterschiedliche Identifikationsmerkmale verwendet, um Datenpakete eines physischen Gerätes dem richtigen, virtuellen Gerät in der IoT-Plattform zuzuordnen. So lässt sich z. B. ein Webhook-basiertes Gerät anhand der individuellen Webhook-URL eindeutig adressieren. LoRaWAN-Datenpakete hingegen können über die im Protokoll vorgegebene Geräte-ID eindeutig einem echten und virtuellem Gerät zugeordnet werden. Beim MQTT-Protokoll hingegen können aufgrund der losen Spezifikation Kriterien sowohl aus dem Header oder Body herangezogen werden. Eine agnostische Geräteverwaltung bietet entsprechende Mechanismen, um die Datenpakete aus unterschiedlichen Protokollen den richtigen Geräten in der IoT-Plattform zuzuordnen.
- Konfigurierbare Datentransformation: Die einfach, selbstständig anpassbare Datentransformation spielt im agnostischen Gerätemanagement eine tragende Rolle. Je nach Protokoll werden aus unterschiedlichen Datenpaketen andere Werte extrahiert und gespeichert. Neben dem Extrahieren von Daten müssen IoT-Plattformen die Daten im richtigen Format an das Zielsystem weiterleiten. Auch hier kommt die Datentransformation ins Spiel: das Umrechnen von Einheiten, Aggregieren von Werten und Anpassen an die Anforderungen der Zielsysteme sind Kernaufgaben in heutigen IoT-Rollouts, für die Benutzer einfache Werkzeuge benötigen.
- Monitoring heterogener IoT-Infrastrukturen: Auch das Monitoring ist abhängig von der Gerätearten. So haben kabelgebundene Sensoren in der Regel je Typ immer die gleiche Senderate. Bei batteriebetriebenen Sensoren, deren Senderate konfiguriert werden kann, kann sich das Intervall zwischen Datenpaketen für ein und denselben Sensor unterscheiden. Auch gibt es je nach Protokoll andere relevante Parameter, die zu überwachen sind. Hierzu gehört z. B. der gültige Messbereich, die Empfangsstärke des Sensors, die Paketnummer etc. Die agnostische Geräteverwaltung bietet Möglichkeiten, von den vorgegebenen Alarmkriterien abzuweichen und individuell für unterschiedliche Geräte eigene Regeln zu definieren. Gleichzeitig lassen sich die heterogenen Sensoren einheitlich in einem Dashboard visualisieren und überwachen.
Die Kernfunktionalitäten eines agnostischen Gerätemanagements sind zusammenfassend technische Funktionen, die die technologie-unabhängige Geräteverwaltung ermöglichen, und eine passende Benutzeroberfläche, mit der IoT-Verantwortliche heterogene IoT-Umgebungen betreiben können. Zu den technischen Funktionen zählen die zuvor beschriebene Abstraktionsebene, die die individuellen Protokolle von der einheitlichen Geräteverwaltung trennt, und die Identifikation von Sensordaten anhand unterschiedlichster Identifikationsmerkmale. Dies wird ergänzt durch eine passende Benutzeroberfläche, die alle Geräte an einem zentralen Ort verwaltet und durch Konfiguration individuelle Monitoring-Regeln und Datentransformationen ermöglicht. Mit diesen Funktionalitäten lassen sich die Herausforderungen einer tieferen Vernetzung von IoT- und IT-Welt und einer Verwaltung von heterogenen IoT-Landschaften in einem System.
Ein technologie-agnostisches Gerätemanagement bildet in der nächsten Generation von IoT-Plattformen somit das Pendant zum Digitalen Zwilling. Der Digitale Zwilling ermöglicht es Fachabteilungen durch Abstraktion von IoT und Anwendungsfall auch ohne technisches Wissen IoT zu nutzen. Das technologie-agnostische Gerätemanagement hingegen ermöglicht es IoT-Verantwortlichen, die mit Rollouts steigende Komplexität zu bewältigen, indem es die Geräteverwaltung von den zugrundeliegenden Protokollen abstrahiert.
Der Mehrwert einer agnostischen Geräteverwaltung zeigt sich an mehreren Punkten: Die Komplexität bei der Umsetzung und dem Betrieb von insbesondere größeren IoT-Infrastrukturen sinkt erheblich. IoT-basierte Anwendungen lassen sich schneller umsetzen und mit weniger Aufwand stabil betreiben. Gleichzeitig ist die IoT-Plattform offen für neue, heute noch unbekannte Protokolle und der Entwicklungsaufwand für die Integration in bestehende IT-Systeme sinkt. Eine agnostische Geräteverwaltung bildet mit dem Digitalen Zwilling in einer IoT-Plattform somit ein zukunftsfähigen und skalierbaren Ansatz, um großflächig IoT-Infrastrukturen im eigenen Unternehmen zu etablieren.
IoT als fester Bestandteil der Unternehmenslandschaft
Der Trend zu immer komplexeren Vernetzungen, individuelleren Bedürfnissen bei der Umsetzung von Anwendungsfällen und immer größere IoT-Infrastrukturen wird auch in Zukunft nicht nachlassen. [IoT Analytics 2023] Dies prognostizierte uns bereits vor 10 Jahren die Digitalisierung. Aktuell befinden wir uns inmitten einer teilweise sichtbaren, teilweise aber auch unsichtbaren Umstellung von “analogen Prozessen” hin zu “digitalen Prozessen”. Die Corona-Pandemie, der Fachkräftemangel, die neuen technischen Möglichkeiten etc. sind allesamt exogene Einflussfaktoren, die den Trend zur Digitalisierung (und somit höheren Komplexität in der eigenen IT) weiter beschleunigen.
Mit der Etablierung von IoT als Basistechnologie in Unternehmen wird sie zum integralen Bestandteil der IT-Strategie. IoT-Plattformen werden langfristig die Rolle als Vermittler zwischen beiden Welten weiter ausbauen. Sie werden von IoT- zu Integrationsplattformen, die unterschiedliche Geräte und Systeme der IoT-, IT- und Operational Technology (OT)-Welt miteinander verbinden, um Daten bedarfsgerecht Dritten bereitzustellen. Aus starren, hierarchischen Verbindungen werden Kommunikationsnetzwerke, in denen alle miteinander interagieren können. Mit der Harmonisierung unterschiedlicher Protokolle und der Vernetzung jeglicher IoT-Geräte und IT-Systeme tragen IoT-Plattformen wesentlich zur ursprünglichen Industrie 4.0-Vision bei, in der alle Objekte in einer Organisation (zumindest theoretisch) miteinander kommunizieren können.
So wie seiner Zeit die Manufacturing Execution Systems (MES) die Lücke zwischen der Produktions- und Office-Welt schlossen, schließen IoT-Plattformen in Zukunft die Lücke zwischen IoT- und IT-Welt!
Die nächste Generation von IoT-Plattformen wird funktional neben dem Fokus auf der Geräteverwaltung daher einen Schwerpunkt auf der Datenverarbeitung haben. IoT-Plattformen liefern in Summe dann die notwendige, durchgängige “digitale Datenautobahn” für den Einsatz weiterer digitaler Technologien wie künstliche Intelligenz (KI), Datenbrillen, Cobots etc., denn diese können ihr Potenzial umso mehr nutzen, je mehr und vernetzter Daten zur Verfügung stehen.
Abb. 3: (I)IoT als Grundlage für neue, durch Digitalisierung erst mögliche, Anwendungsfelder
TL;DR aka Zusammenfassung
Der erste Teil “Wenn uns die Komplexität der Digitalisierung übermannt…” dieser zweiteiligen Serie befasste sich mit den heutigen Herausforderungen beim Einsatz von IoT in Unternehmen. Mit dem professionellen Rollout steigt die Komplexität in eine nur noch schwer handhabbare Dimension. Damit IoT-Verantwortliche diese neue Dimension an Komplexität noch bewältigen können, müssen sich IoT-Plattformen weiterentwickeln. Eine technologie-agnostische Geräteverwaltung ist die Grundlage der nächsten Generation von IoT-Plattformen. Die übergreifend einheitliche Geräteverwaltung ermöglicht es, heterogene IoT-Infrastrukturen an einem Punkt einheitlich zu verwalten, unabhängig davon, ob die genutzten Protokolle heute schon bekannt sind oder zukünftig erst noch entstehen. Kernfunktionalitäten sind die flexible Identifikation und Zuordnung von Datenpaketen zu virtuellen Geräten, die Möglichkeit für umfangreiche Datentransformationen eingehender und ausgehender Daten über die Benutzeroberfläche und ein granular auf die Bedürfnisse der individuellen Infrastruktur anpassbares Gerätemonitoring. Ein technologie-agnostisches Gerätemanagement reduziert so nicht nur die Komplexität (und damit das Risiko), sondern verringert den Aufwand für die Integration und den Betrieb. Zusammen mit dem Digitalen Zwilling ist das agnostische Gerätemanagement der Grundstein für die Metamorphose von IoT-Plattformen: von IoT-fokussierten Geräteverwaltungsplattformen hin zu IoT/IT-Integrationsplattformen und zu einem integralen Bestandteil der Unternehmens-IT-Architektur.