IoT ist den Kinderschuhen entwachsen und im Alltag angekommen. Immer mehr Unternehmen haben eigene Kompetenzen aufgebaut, Teams zusammengestellt und Anwendungsfälle für ihr Unternehmen erprobt. Intelligent vernetzte Sensoren und Software-Lösungen helfen uns bei immer mehr Herausforderungen des betrieblichen Alltags. Die lange prognostizierten “Millionen installierter Sensoren” werden Realität. Doch mit dieser neuen Evolutionsstufe von IoT entsteht eine neue Herausforderung: eine schier unendliche, nicht mehr handhabbare Komplexität! Komplexität in Technologien, Anwendungsfällen, Wartbarkeit, Vernetzung etc. Die Lösung? Ein technologie-agnostischer Ansatz – und eine neue Rolle von IoT-Plattformen!
IoT ist im Rollout angekommen
IoT ist seit geraumer Zeit im produktiven Betrieb angekommen. Seit 2018 ist IoT im Gartner Hype Cycle nicht mehr als “Emerging Technology” geführt und Themen wie die IoT Integration haben spätestens seit 2020 das „Plateau der Produktivität“ erreicht. Die für IoT notwendigen Technologien sind ausgereift. Sowohl für die notwendige Hardware als auch Software besteht eine hohe Anbietervielfalt. Ein Großteil der Unternehmen hat sich mit dem Thema befasst, eigene Erfahrungen gesammelt und eine Strategie abgeleitet. Und viele sind bereits dabei, IoT-Infrastrukturen unternehmensweit auszurollen (siehe z. B. ZfK 2023 oder Digimondo 2023). Der initiale Hype ist vorbei. Es ist fast wie beim Smartphone: nur weil wenige über das neuste iPhone und oder Galaxy Phone sprechen, heißt das nicht, dass wir Smartphones in unserem Leben missen wollen. Vielmehr sind Smartphones “natürlicher Bestandteil” des Alltags geworden.
In der Unternehmenspraxis heißt das konkret: die Proof-of-Concept-Projekte und Durchstichtests in kleinen Umgebungen mit überschaubarem Umfang sind (fast) abgeschlossen. Eigene Teams mit IoT-Kompetenzen wurden aufgesetzt bzw. externe Experten gefunden. Das Thema IoT wird nicht mehr im kleinen Rahmen, sondern unternehmensweit angegangen. IoT wird zum Bestandteil der bestehenden IT-Landschaft und integriert sich in sie. Aus einer Handvoll Geräten werden mehrere tausend. Neben technikaffinen Bastlern kommen unerfahrene Nutzer hinzu, für die IoT nur eine weitere von vielen Möglichkeiten zur Lösung ihres Problems ist. (Kolberg 2022)
Wir sind heute an dem Punkt, an dem wir uns bei IoT nicht mehr fragen “Wie funktioniert es?”, sondern “Welche messbaren Vorteile bringt es mir?”
Komplexität als neue Herausforderung
Mit dem gestiegenen Reifegrad und Eintritt in die Rollout-Phase steht die IoT-Welt vor einer neuen Herausforderung. IoT-Verantwortliche sind mit einer erheblich gestiegenen Komplexität konfrontiert, die die Realisierung, den Betrieb und die Weiterentwicklung erschwert.
Die gestiegene Komplexität zeigt sich in mehrerlei Hinsicht. Um IoT zu realisieren, existiert mittlerweile eine Vielzahl an Kommunikationsprotokollen. Allesamt haben ihre Vor- und Nachteile. Sie lassen sich seltenst problemlos durch andere substituieren und je nach technischer Ebene können sie sich auch gegenseitig ergänzen. (IoT Analytics 2022) Zum Beispiel kann für die drahtlose Übertragung von Sensordaten neben WLAN auch LoRaWAN, MIOTY, NB-IoT oder Zigbee verwendet werden. Für die Übertragung der Sensordaten zwischen IoT- und IT-Systemen kann anschließend auf MQTT, REST-API oder Webhook zurückgegriffen werden. Alleine aus den genannten Beispielen lassen sich 15 verschiedene Kombinationen bilden, um Daten vom IoT-Gerät in ein Zielsystem zu übertragen!
Abb. 1: Auszug der Vielzahl an IoT-Protokollen und -Tools (Quelle: In Anlehnung an IoT Analytics 2022)
Aus dieser Vielzahl an Protokollen und Technologien gilt es nun diejenige Kombination auszuwählen, die individuellen Herausforderung optimal (d. h. mit möglichst vielen Vorteilen und akzeptablen Nachteilen) löst. Je nach Anwendungsfall kann das durchaus variieren, sodass Unternehmen mehrere Technologien verwenden müssen. Will man beispielsweise die Position von Assets auf meinem Werksgelände und darüber hinaus verfolgen, muss auf eine Mobilfunk-Technologie wie z. B. NB-IoT zurückgegriffen werden. Soll das Asset darüber hinaus auch in Gebäuden geortet werden, brauche man eine höhere Genauigkeit und Durchdringung und ist fast zwangsläufig auf z. B. BLE angewiesen. Sollen darüber hinaus auch Erschütterungen und die Umgebungstemperatur des Assets überwacht werden, kann zusätzlich eine Technologie wie LoRaWAN noch relevant sein. Ein unmöglicher Fall? Eher nein – für hochwertige Betriebsmittel oder empfindliche bzw. zeitkritische Vorprodukte ist es durchaus sinnvoll, neben dem genauen Standort auch den Zustand zu überwachen.
Die Komplexität zeigt sich auf technischer Ebene auch bei der IoT-Architektur. Aus den gewählten Protokollen ergeben sich zwangsweise Vorgaben für die IoT-Architektur. Für drahtlose Technologien wie LoRaWAN oder MIOTY benötigt man eigene Gateways, die lokal installiert werden. Mobilfunk und 450 Mhz hingegen verwenden Mobilfunkantennen von Dritten, die im Einzugsgebiet vorhanden seien müssen. Und im Industrial Internet of Things (IIoT), wo primär drahtgebundene Infrastrukturen vorhanden sind, werden regelmäßig sogenannte Edge-Devices benötigt, die die Unmengen an Daten der Anlagensteuerung (SPS) aggregieren und konvertieren. Abbildung 2 gibt ein Beispiel, wie heterogen eine IoT-Infrastruktur aussehen kann und wie schnell sich daraus Millionen von unterschiedlichen Architekturvarianten ergeben.
Bei der Planung der eigenen Architektur ist des Weiteren noch die bestehende IT-Infrastruktur zu berücksichtigen. Neben bestehenden, unternehmensinternen Infrastruktur-Vorgaben müssen bei einem Rollout eine Vielzahl an IT-Systemen integriert werden, die bereits seit Jahrzehnten im Betrieb sind. Sie unterstützen oftmals keine der modernen Schnittstellen und ermöglichen einen Datenaustausch z. B. nur über den altmodischen CSV-Dateiaustausch. Daten, die aus der IoT-Welt kommen, müssen für einen Austausch mit der IT-Welt auf das Zielformat des IT-Systems angepasst werden. Das betrifft sowohl das verwendete Protokoll und Format, als auch die Inhalte. Beispielsweise kann ein an einer Anlage installierter IoT-Stromzähler nicht “einfach so” seine Daten an das ERP-System übermitteln. Die Rohdaten des Sensors (z. B. Hexadezimal-Werte) kann das ERP-System nicht interpretieren. Und selbst wenn es das gleiche Protokoll verwendet, kann das ERP-System den Zählerwert “3459 kWh” nicht ohne Metainformationen wie z. B. die Anlagen-Kostenstenstelle zuordnen. Die Kommunikation von IoT- zur IT-Welt muss daher bidirektional erfolgen, damit übertragene Messwerte durch entsprechende Metadaten angereichert werden können und so erst einen Sinn (und schlussendlich Mehrwert) ergeben.
Die steigende Komplexität wirkt sich aber auch auf die notwendigen Unternehmensprozesse aus. Mit dem Rollout gehen die zuvor überschaubaren Pilotprojekte in den professionellen Betrieb mit hohen Anforderungen über. Anstatt einiger weniger IoT-Geräte müssen nun mehrere tausend überwacht und gewartet werden. Von individuellen Alarmierungen über automatisierte Wartungsprozesse bis hin zur Konfiguration einer großen Anzahl an Sensoren kommen neue Aufgaben und Prozesse auf IoT-Verantwortliche zu. Gleichzeitig müssen die IoT-Verantwortlichen die zuvor erwähnte, aus den unterschiedlichen IoT-Anwendungsfällen entstandene, heterogene IoT-Landschaft betreiben. Im schlimmsten Fall hat jedes IoT-Projektteam während der Proof-of-Concept-Phase eigene Software mit eigenen Bedienoberflächen eingesetzt, die wenige Leute im professionellen Betrieb zentral bedienen müssen.
Und als ob das alles nicht schon genug ist, kommt mit dem Rollout eine neue Nutzergruppe hinzu. Mitarbeitende aus Fachabteilungen wie z. B. Logistik, Anlagenbetrieb, Leitstand, Abrechnung oder Gebäudemanagement, die wenig IoT-Erfahrung haben. Sie bringen neue Anforderungen an die IoT Welt (insbesondere die Software-Benutzungsoberflächen) mit und benötigen Lösungen, die auf ihre Domäne zugeschnitten, einfach zu bedienen und robust sind.
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass mit dem gestiegenen Reifegrad von IoT und vermehrten Rollouts die Komplexität im Betrieb von IoT-Infrastrukturen erheblich steigt. Viele parallel zu verwendende IoT-Protokolle, heterogene IoT-Architekturen, die Anbindung von und Kommunikation mit zum Teil veralteten Bestandssystemen, hohe Anforderungen an die Betriebsprozesse und zuletzt eine neue, weniger technikaffine Nutzergruppe, die IoT verwendet.
Mit dem Digital Twin für IoT-Plattformen existiert bereits ein generisches Konzept, mit dem Fachabteilungen einfach eigene IoT-Anwendungsfälle realisieren können, ohne sich mit der dafür notwendigen Technologie befassen zu müssen. Durch den Digital Twin wird die Komplexität für nicht-technikaffine Anwender, die IoT nutzen wollen, reduziert. IoT-Anwendungsfälle werden robuster gegen technische Veränderungen von z. B. einem Tausch der eingesetzten Hardware. Ein ähnliches Konzept gilt es nun auch für IoT-Verantwortliche umzusetzen, um die Komplexität bei der Verwaltung von IoT-Geräten zu reduzieren.
Die Lösung nennt sich “technologie-agnostische Geräteverwaltung”. Mit ihr lassen sich heterogene Infrastrukturen an einem Punkt zentral verwalten und langfristig erweitern. Zusammen mit dem Digitalen Zwilling bildet die technologie-agnostische Geräteverwaltung die Grundlage für die nächste Generation von IoT-Plattformen. Der nächste Teil dieser zweiteiligen Serie wird das Konzept detaillieren und zeigen, wie es die Integration von IoT- in IT-/OT-Infrastrukturen unterstützt und so den Rollout von IoT in Unternehmen fördert.
TL;DR aka Zusammenfassung
IoT ist in eine neue Phase eingetreten. Aus kleinen Proof-of-Concept-Projekten werden nun großflächige Rollouts. Damit verbunden steigt die Komplexität des sowieso schon komplexen Themas erheblich an: noch mehr Protokolle, die zum Einsatz kommen, hohe technische Anforderungen an die IoT-Architektur und den IoT-Betrieb, die Integration von IoT in die bestehende IT-Landschaft und eine neue, nicht-technikaffine Nutzergruppe mit eigenen Bedürfnissen. Damit IoT-Verantwortliche diese neue Dimension an Komplexität noch bewältigen können, müssen sich IoT-Plattformen weiterentwickeln. Die Lösung nennt sich “technologie-agnostische Geräteverwaltung” und ist Inhalt des zweiten Beitrags, den ihr ➡️ hier findet.